Beschluß des Landesparteigerichtes vom 16. Juli 2004

 
Christlich Demokratische Union Deutschlands(CDU)
Landesverband Hessen
Landesparteigericht
      LPG 1/03-

Beschluss

In der Parteigerichtssache
des CDU-Landesverbandes Hessen, vertreten durch den Landesvorstand, dieser vertreten durch den Ministerpräsidenten Roland Koch, MdL, Frankfurter Straße 6, 65189 Wiesbaden

-Antragsteller-

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Christofer Lenz, Altenbergstraße 3, 70180 Stuttgart-

gegen

Herrn Martin Hohmann, MdB, August-Rosterg-Straße 10, 36119 Neuhof

-Antragsgegner-

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Christoph Kind, Rabanusstraße 16, 36037 Fulda-

wegen Parteiausschluss

hat das Landesparteigericht der CDU- Hessen durch

Direktor des Amtsgerichts a.D. Anton Nowak
als Vorsitzenden
Ministerialdirigent Bernd Friedrich und
Rechtsanwalt und Notar Johann Günter Knopp
als Beisitzer

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.04.2004 am 06.07.2004 im schriftlichen Verfahren beschlossen.

Der Antragsgegner wird aus der Christlich Demokratischen Union Deutschlands ausgeschlossen.
Das Verfahren ist gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:
I

Der jetzt 56-jährige Antragsgegner ist im Jahre 1981 in die CDU eingetreten. Er hat eine juristische Ausbildung mit Schwerpunkt Verwaltungsrecht. 1984 wurde er in seiner Heimatgemeinde Neuhof zum Bürgermeister gewählt. In den 80er und 90er Jahren war der Antragsgegner Mitglied des Kreisvorstandes der CDU in Fulda. Bei der Bürgermeisterwahl im Jahre 1995 erreichte der Antragsgegner 69,3 % der Stimmen. Bei der Gemeindewahl 1997 erhielt die CDU 54 % an Stimmen. 1998 löste der Antragsgegner Dr. Alfred Dregger als Bundestagskandidat ab und erhielt 49,5 % der Erststimmen. Er wurde als Delegierter zu Landes- und Bundesparteitagen gewählt. Bei der Bundestagswahl 2002 erreichte der Antragsgegner mit 54 % hessenweit das beste und bundesweit das viertbeste CDU-Ergebnis. Seit 1998 arbeitet der Antragsgegner in der CDU/CSU-Arbeitsgruppe für Vertriebene und Flüchtlinge mit und wurde 2002 zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Am 03.10.2003 hielt der Antragsgegner anlässlich des Tages der Deutschen Einheit eine Rede, die Anlass dieses Verfahrens ist. Sie steht unter dem Thema "Gerechtigkeit für Deutschland, über unser Volk und seine etwas schwierige Beziehung zu sich selbst". Ohne die NS-Vergangenheit zu beschönigen, verweist der Antragsgegner auch auf die "dunklen Seiten" anderer Nationen am Beispiel der Französischen Revolution. Um den Nachweis zu erbringen, dass man nicht einseitig die Deutschen als Tätervolk bezeichnen könne, setzte sich der Antragsgegner mit der Rolle von Juden bei der russischen Oktoberrevolution auseinander. Dabei stellt er die auch von ihm als provozierend bezeichnete Frage: "Gibt es auch beim jüdischen Volk, das wir ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen, eine dunkle Seite in der neueren Geschichte oder waren Juden ausschließlich die Opfer, die Leidtragenden?" Der Antragsgegner kommt dabei zu dem Schluss, dass man "im Hinblick auf die Millionen Toten mit einiger Berechtigung die Juden als Tätervolk" bezeichnen könne". Der Antragsgegner kommt dann zu dem Ergebnis, dass die Loslösung vom Glauben und damit die Gottlosigkeit das verbindende Element von Bolschewismus und Nationalsozialismus war. Der Antragsgegner folgert daraus, dass weder die "Deutschen" noch die "Juden" ein Tätervolk sind.

Diese Rede wurde in das Internet gestellt und der Parteivorsitzenden der CDU, Frau Dr. Merkel am 30.10.2003 bekannt. Tags darauf erklärte diese in den Medien, es handle sich um "völlig unakzeptable und unerträgliche Äußerungen, von denen wir uns auf das Schärfste distanzieren". Am 31.10.2003 gab der Antragsgegner eine mit der Parteivorsitzenden abgesprochene Presseerklärung ab mit dem Inhalt, er bezeichne weder Juden noch Deutsche als Tätervolk und es sei nicht seine Absicht, Gefühle zu verletzen. In einer weiteren Presseerklärung vom 01.11.2003 erklärte der Antragsgegner, es sei nicht seine Absicht gewesen, die Einzigartigkeit des Holocaust zu leugnen bzw. die Juden als Tätervolk zu bezeichnen. Darüber hinaus entschuldigte sich der Antragsgegner für den Fall, dass gleichwohl ein derartiger Eindruck entstanden sein sollte. Diese Erklärung war mit dem Vorsitzenden des Antragstellers, Roland Koch, abgesprochen und vom Kreisvorsitzenden der CDU-Fulda, Fritz Kramer, aufgesetzt worden. Am selben Tag wurde das ZDF-Interview bei Frontal 21 aufgenommen. Strittig ist, ob der Antragsgegner den stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion, Wolfgang Bosbach, telefonisch benachrichtigt hatte. Am 03.11.2003 beschäftigte sich das CDU-Bundespräsidium mit der Rede, verurteilte die Äußerungen und erteilte dem Antragsgegner eine "scharfe politische Rüge". Am selben Tag gab dieser nach einem handschriftlichen Entwurf des Herrn Bosbach eine weitere Presseerklärung ab, in der er die Rüge akzeptierte, sich von den umstrittenen Passagen seiner Rede distanzierte und auf seine öffentliche Entschuldigung verwies. Schließlich erklärte er, dass er dazu keine weiteren Erklärungen abgeben werde. Am 04.11.2003 wurde das ZDF-Interview bei der Partei allgemein bekannt und am Abend ausgestrahlt. Darin beruft sich der Antragsgegner auf die Kernaussage seiner Rede, dass auch die Juden kein Tätervolk sind, nimmt aber andererseits das Recht in Anspruch, "die Beteiligung des jüdischen Volkes an der bolschewistischen Revolution von 1917" als dunklen Fleck in der Geschichte des jüdischen Volkes zu bezeichnen. Am 10.11.2003 forderten Herr Bosbach und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, den Antragsgegner ultimativ auf, sich erneut öffentlich und glaubwürdig nicht nur von den "umstrittenen Passagen" seiner Rede zu distanzieren, sondern auch von dem Inhalt und dem Tenor insgesamt. Der Antragsgegner lehnte dies nach einer Bedenkzeit ab.

Der Antragsgegner wurde am 10.11.2003 aus der CDU/CSU-Fraktion ausgeschlossen, da seine Äußerungen einen antisemitischen Charakter hätten. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wurde von der Staatsanwaltschaft abgelehnt.

Am 21.11.2003 beschloss der Landesvorstand des Antragstellers, einen Antrag auf Parteiausschluss zu stellen, was mit Schriftsatz vom 25.11.2003 erfolgte. Gleichzeitig entzog er dem Antragsgegner vorläufig seine Mitgliedsrechte.

Der Antragsteller sieht in der Rede und dem Nachredeverhalten des Antragsgegners einen erheblichen Verstoß gegen die Grundsätze der Partei, und zwar gegen Nr. 3,7,38,63,118 des Grundsatzprogramms der CDU-Deutschlands von 1994. Er als Bundestagsabgeordneter habe nicht die von ihm selbst als provokatorisch empfundene Frage stellen dürfen, ob man die Juden als Tätervolk bezeichnen könne. Das Gleiche gelte für den Vergleich der Beteiligung von Juden an der Oktoberrevolution und deren Folgen mit den Verbrechen der Nazizeit. Darüber hinaus liege ein erheblicher Verstoß gegen die Ordnung der Partei vor, da sich der Antragsgegner illoyal verhalten habe. Es handle sich auch nicht um eine einmalige Entgleisung. Der Antragsgegner habe zumindest fahrlässig gehandelt. Der Partei sei ein schwerer Schaden durch das Verhalten des Antragsgegners entstanden. Die Rede habe in der Öffentlichkeit ein verheerendes Echo gefunden, und zwar sowohl in den Medien als auch bei den Fachleuten. Die Rede sei fast ausnahmslos als antisemitisch oder zumindest als nahe zu antisemitischem und völkisch-rassischem Gedankengut verstanden worden. Weiter wirft der Antragsteller dem Antragsgegner vor, er habe das Interview der Parteiführung verschwiegen und sich später geweigert, sich ganz von der Rede zu distanzieren.

Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner aus der CDU Deutschlands auszuschließen.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

Er verwahrt sich, insbesondere unter Bezugnahme auf seine Reden von 1988 und zuletzt vom 06.06.2003 und sein Eintreten für die Belange der jüdischen Gemeinde in Neuhof, entschieden dagegen, ein Antisemit zu sein oder auch nur eine antisemitische Rede gehalten zu haben. Die historischen Fakten seiner Rede seien zutreffend. Er habe doch ausdrücklich erklärt, die Juden seien kein Tätervolk. In den Medien sei er insoweit oft falsch zitiert worden, ohne dass die Parteiführung dagegen eingeschritten sei. Die Presseerklärungen seien jeweils in voller Absprache mit der Partei erfolgt. Von den zutreffenden Tatsachen habe er sich nicht distanzieren können. Im übrigen sei Vorsatz erforderlich, der nicht gegeben sei. Wie sich aus den Umfrageergebnissen zeige, sei der Partei kein Schaden entstanden. Tausende von Mitgliedern hätten ihn seither aktiv unterstützt. Durch die akzeptierte Rüge sei eine weitere Parteistrafe nicht mehr zulässig. Schließlich wäre ein Parteiausschluss ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, zumal er seit Jahrzehnten aufopferungsvoll für die Partei kämpfe und durch den Fraktionsausschlusss und die "Medienwalze" genug bestraft sei.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

II

Der Antrag des Antragstellers ist zulässig und begründet.

Die Zuständigkeit des Landesvorstandes für den Ausschlussantrag ergibt sich aus § 11 Abs. 2 Statut der CDU, § 7 Abs. 2 Satz 4 Landessatzung Hessen. Das Landesparteigericht ist nach § 13 Abs. 1 PGO zur Entscheidung über den Antrag berufen.

Der Antragsgegner ist aus der Christlich Demokratischen Union Deutschlands auszuschließen. Er hat schuldhaft erheblich gegen Grundsätze und Ordnung der Partei verstoßen und ihr damit schweren Schaden zugefügt (§ 10 Abs. 4 Parteiengesetz, § 11 Abs. 1 Statut der CDU, § 6 Abs. 5 Landessatzung Hessen).

Gegen die Grundsätze der Partei wird verstoßen, wenn die grundlegenden Wertvorstellungen der Partei und die Kernaussagen eines Programms nicht beachtet werden (CDU-BPG 4/96).

Das Grundsatzprogramm der CDU von 1994 erinnert insbesondere in den Kapiteln I.1 Nr. 3, II Nr. 63 Abs. 3 und IV Nr. 106 Abs. 3 daran, dass die CDU und das von ihr mitgeschaffene und mitgetragene Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in der Reaktion nicht nur auf das Scheitern der Weimarer Republik, sondern insbesondere als Antwort auf den Totalitarismus und die Verbrechen der Nazizeit entstanden sind. Der antiautoritäre Grundcharakter der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Die Präambel sowie die Art. 1 und 20 GG, die gemäß Art. 79 Abs. 3 GG jedweder Veränderung entzogen sind) schließt explizit den Willen und den Wunsch ein (vgl. auch Kapitel I Nr. 4 "Politische Grundentscheidungen" des CDU-Grundsatzprogramms), dass das deutsche Volk nach den in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes wieder als gleichberechtigtes Volk in die Völkergemeinschaft aufgenommen und eingegliedert wird. Das Bekenntnis des Art. 1 GG, dass das deutsche Volk sich zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlagen jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekennt, schloss und schließt den Willen ein, die Verantwortung für den Genozid an den Juden zu übernehmen und wachsam gegenüber totalitären und antisemitischen Tendenzen zu sein und auch einen Ausgleich mit Israel und den Juden zu suchen.

Dazu bekennt sich die CDU Deutschlands ausdrücklich auch in ihrem Grundsatzprogramm 1994. Es erinnert in Kapitel I.1 Nr. 3 daran, dass die Gründer der CDU einen neuen Anfang in der deutschen Parteiengeschichte setzen wollten, dessen Wurzeln u.a. im politisch motivierten Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime zu suchen sind. In Nr. 4 "Politische Grundentscheidungen" wird daran erinnert, dass diese Gründer der CDU sich ihrer Verantwortung gestellt und ihre politischen Grundentscheidungen im damals freien Teil Deutschlands durchgesetzt haben, u.a. für die Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Werte- und Verteidigungsgemeinschaft.

Es gehört deshalb zum Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland und auch der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, dass der Genozid an den Juden nicht vergessen oder verdrängt werden darf. Aus diesem Grund wurde das Grundrecht der freien Meinungsäußerung, das unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze steht, ausdrücklich auch durch § 130 Abs. 3 StGB durch strafbewehrte Normen dahin eingeschränkt, dass unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuch bezeichneten Art nicht öffentlich in einer Versammlung gebilligt, geleugnet oder verharmlost werden dürfen.

Der Antragsgegner hat zwar nicht den Genozid an den Juden verharmlost, aber auf subtile Art die Schuld der damals lebenden Deutschen zu relativieren versucht. Er hat sich mit seinen explizit provozierenden Fragen und Äußerungen ausdrücklich auch gegen die "zur Zeit in Deutschland dominierende politische Klasse und Wissenschaft" gewandt, die zu dem "Vorwurf: Die Deutschen sind das Tätervolk" eine "gnädige Neubetrachtung oder Umdeutung den Deutschen nicht gestattet".

In richtiger Erkenntnis seiner Äußerungen hat er an dieser Stelle seiner Rede angefügt: "Die Deutschen als Tätervolk. Das ist ein Bild mit großer, international wirksamer Prägekraft geworden. Der Rest der Welt hat sich hingegen in der Rolle der Unschuldslämmer- jedenfalls der relativen Unschuldslämmer- bestens eingerichtet. Wer diese klare Rollenverteilung- hier die Deutschen als größte Schuldigen aller Zeiten, dort die moralisch überlegenen Nationen- nicht anstandslos akzeptiert, wird Schwierigkeiten erhalten". Und er hat wenig später ausgeführt: "Auf diesem Hintergrund stelle ich die provozierende Frage: Gibt es auch beim jüdischen Volk, das wir ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen, eine dunkle Seite in der neueren Geschichte oder waren Juden ausschließlich die Opfer, die Leidtragenden?

Zur Beantwortung dieser rhetorischen Frage erörterte der Antragsgegner dann insbesondere unter Verwendung der Ausführungen des Johannes Rogalla von Bieberstein in dessen Buch "Jüdischer Bolschewismus" ausführlich, "wie stark und nachhaltig Juden die revolutionäre Bewegung in Rußland und den mitteleuropäischen Staaten geprägt haben. Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase nach der "Täterschaft" der Juden fragen. Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als "Tätervolk" bezeichnen. Das mag erschreckend klingen. Es würde aber einer gleichen Logik folgen, mit der man Deutsche als Tätervolk bezeichnet". Der Antragsgegner hat das zwar dann gleich relativiert und weiter ausgeführt: "Wir müssen genauer hinschauen. Die Juden, die sich dem Bolschewismus und der Revolution verschrieben hatte, hatten zuvor ihre religiösen Bindungen gekappt. Sie waren nach Herkunft und Erziehung Juden, von ihrer Weltanschauung her aber meist glühende Hasser jeglicher Religion. Ähnliches galt für die Nationalsozialisten … daher sind weder "die Deutschen" noch die "Juden" ein Tätervolk". Und zusammenfassend führte er aus: "Wir haben also gesehen, dass der Vorwurf an die Deutschen schlechthin, "Tätervolk" zu sein, an der Sache vorbei geht und unberechtigt ist. Der Antragsgegner hat mit dieser argumentativen Verquickung von Judentum und Bolschewismus ein Klischee verwendet, das schon die Nationalsozialisten als Vorwand und Rechtfertigung für die Verfolgung und industriemäßige Tötung von Millionen europäischer Juden mißbraucht haben. Er hat sich dieses anstößigen Klischees bedient, um die Schuld, welche die nationalsozialistischen Verbrecher mit ihren Helfershelfern einschließlich der Millionen der "Mitläufer" auf das deutsche Volk geladen haben, zu verharmlosen.

Beides, nämlich Mittel sowie Zweck und Ziel dieser Ausführungen, sind mit den Grundsätzen der CDU Deutschlands unvereinbar. Da er selbst ausführte, dass "die Juden, die sich dem Bolschewismus und der Revolution verschrieben hatten, zuvor ihre religiösen Bindungen gekappt hatten", durfte der Antragsgegner die "jüdischen Täter" im nachzaristischen Rußland nicht als Angehörige oder gar Vertreter eines imaginären jüdischen Volkes werten und deren Verhalten diesem "Volk" zurechnen. Selbst diese "Täter" haben das nicht getan. Sie waren nach eigenem Verständnis russische, später sowjetische Kommunisten. Und auch niemand unter den Juden, weder in Rußland noch in Deutschland oder anderswo, hat deren Taten für sich oder die "Juden" reklamiert. Nur den Nationalsozialisten waren diese Hinweise auf die Abstammung und Herkunft dieser "Täter" ein willkommenes Argument zur Propagierung ihrer rassistischen Verfolgungs- und Mordkampagnen.

Auch der Zweck der Äußerungen des Antragsgegners ist mit den Grundsätzen der Partei unvereinbar. Wie zur Zeit der Gründung der CDU und dann auch der Bundesrepublik Deutschland gehört es zum grundsätzlichen Konsens der CDU und auch der anderen demokratischen Parteien, die eigentlich unfaßbare geschichtliche Einzigartigkeit der Shoa, des millionenfachen Mordes an deutschen Menschen und Menschen der Nachbarstaaten wegen ihrer jüdischen Abstammung nicht zu relativieren.

Der Antragsgegner hat sich bewußt von diesem Konsens gelöst; explizit und in Erwähnung der von ihm erwarteten "Schwierigkeiten" hat er die "provozierende Frage" nach einer "dunklen Seite des jüdischen Volkes" gestellt und sich auch ausdrücklich einen anderen Konsens gewünscht. Weil die Bundesregierung eine Anpassung der Entschädigungszahlungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz an vor allem jüdische Opfer des Nationalsozialismus angesichts der Wirtschaftsentwicklung und des Rückgangs der Steuereinnahmen abgelehnt habe, wünsche er sich einen anderen Konsens: Der eigene Staat muß in erster Linie für die eigenen Staatsbürger da sein. Er hat auch, nachdem seine Rede einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden und heftige Reaktionen auch in der Partei und der Bundestagsfraktion der CDU/CSU ausgelöst hatte, an seiner Rede festgehalten und sich von deren inhaltlichen Aussagen nicht eindeutig distanziert. Damit hat er, der als Bundestagsabgeordneter eine herausgehobene Stellung inne hat und zur Vertretung der Grundsätze der Partei berufen ist, der CDU Deutschlands einen schweren Schaden zugefügt. Bis zum Ausschluss des Antragsgegners aus der Bundestagsfraktion der CDU/CSU und dem Antrag des Landesvorstandes des Antragstellers mussten sich die Partei und die Bundestagsfraktion des durch die Rede des Antragsgegners entstandenen Eindrucks erwehren, die CDU Deutschlands tolerierte die Verwendung antisemitischer Klischees, um die deutsche Schuld an dem in der Nazizeit begangenen Völkermord an Juden zu verharmlosen. Damit wurde das Ansehen der CDU innerhalb Deutschlands und auch in den anderen Ländern in Frage gestellt, nämlich ob die Partei noch an den Grundsätzen festhält, die seit ihrer Gründung ihre Politik mibestimmt hatten und ihr und der Bundesrepublik Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg wieder Ansehen und Vertrauen in der Staatsgemeinschaft auch in den USA und in Israel verschafft hatten. Das Medienecho auf die Rede des Antragsgegners war fast ausschließlich äußerst negativ. Selbst Kadinal Lehmann, auf den sich der Antragsgegner zu seiner Entlastung beruft, formuliert zutreffend in einem veröffentlichten Brief: "Darum sei in aller Deutlichkeit folgendes gesagt: Ich halte die Wendung "Tätervolk" in Verbindung mit dem jüdischen Volk und in einer Parallele zu den für den Holocaust Verantwortlichen für ganz und gar unerträglich. Hier wird assoziativ ein Zusammenhang hergestellt, der geeignet ist, die grauenvolle Einmaligkeit des Holocaust, die Ermordung von Millionen jüdischer Menschen und die damit intendierte Vernichtung des ganzen jüdischen Volkes zu verdecken. Jeder, der sich in dieser Frage öffentlich zu Wort meldet, muß sich der besonderen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk bewußt sein. Dies gilt bis in einzelne Formulierungen hinein. Deshalb hätte ich es sehr begrüßt, wenn sich der Abgeordnete Hohmann von Anfang an, als die öffentliche Debatte begann, klar und eindeutig von diesen unglücklichen Ausführungen distanziert hätte".

Die Äußerungen des Antragsgegners und sein nachträgliches Verhalten stellen auch einen erheblichen Verstoß gegen die Ordnung der Partei dar. Der Antragsgegner hat damit das Identifikationsgebot und die Loyalitätspflicht in schwerwiegender Weise verletzt. Er löste sich insbesondere von den Vorgaben der Nr. 63 Abs. 3 des CDU-Grundsatzprogramms. Der innerparteilichen Meinungsbildung kann nicht dienen, was fundamental gegen das geschichtlich begründete Wertesystem der CDU verstößt. Der Antragsgegner hat durch seine Vorgehensweise der Partei eine "Tätervolk-Debatte" aufgedrängt.

Der Antragsgegner hat auch schuldhaft, und zwar zumindest fahrlässig gehandelt. Er war sich bewußt, dass er eine "provozierende Frage" stellte und "Schwierigkeiten" die Folge solcher Gedankengänge sein könnten. Vorsatz ist nicht erforderlich.

Den der Partei, auch ihrer Führung im Bund und im Lande Hessen zugefügten Schaden konnte die Partei nur durch den Ausschluss des Antragsgegners aus der Bundestagsfraktion der CDU/CSU und einem Antrag auf die Ausschließung aus der Partei eindämmen und begrenzen. Daraus folgt aber auch, dass ein den Antragsgegner in seinen Mitgliedschaftsrechten weniger einschneidend treffendes Mittel als der Parteiausschluss nicht ausreicht. Dies gilt, obwohl sich der Antragsgegner in der Vergangenheit jahrzehntelang in vorbildlicher Weise erfolgreich für die Belange der CDU eingesetzt und in Reden und Taten die Aussöhnung mit den jüdischen Mitbürgern gefördert hat. Würde dem Antragsgegner z.B. unter Aufrechterhaltung seiner Mitgliedschaft auferlegt, während eines bestimmten Zeitraums kein politisches Mandat der Partei auszuüben, so würde damit durch das Landesparteigericht der das Verfahren sehr aufmerksam verfolgenden Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt, die Partei toleriere parteiintern, wie der Antragsgegner die Frage der Schuld des deutschen Volkes an dem Holocaust interpretiert und wolle dies nur zukünftig und während des etwa zu bestimmenden Zeitraums nicht als "offizielle" und der Partei zuzurechnende Argumentation gelten lassen. Das aber hätte die Perpetuierung des von dem Antragsgegner der Partei zugefügten Schadens und wohl auch dessen Vertiefung zur Konsequenz und kann deshalb in voller Würdigung des Grundsatzes, dass das vom Landesparteigericht zu wählende Mittel verhältnismäßig sein muß, nicht zum Tragen kommen. Dem Interesse der Partei an der endgültigen Begrenzung des ihr von dem Antragsgegner zugefügten Schadens kann deshalb nur durch den beantragten Parteiausschluss genügt werden. Dagegen spricht auch nicht , dass der Antragsgegner von zahlreichen Parteimitgliedern insbesondere seines Kreisverbandes Unterstützung erhalten hat. Die von diesen Parteimitgliedern in kritischer Solidarität mit dem Antragsgegner geforderte offene und faire Debatte zu führen, und zwar auch über die unverändert fortgeltenden Grundsätze der Partei, ist Sache der Parteiführung.

Ein "Strafverbrauch", wie ihn der Antragsgegner in Anspruch nehmen möchte, liegt nicht vor. Für Ordnungsmaßnahmen nach § 10 Statut der CDU, § 8 Landessatzung Hessen wäre der Landesvorstand des Antragstellers ausschließlich zuständig gewesen.

III

Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 PGO.

IV

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluß kann Beschwerde beim Bundesparteigericht der CDU, Klingelhöferstraße 8, 10785 Berlin, eingelegt werden (§§ 37 Abs. 2, 38 PGO). Die Beschwerdeschrift ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung in vierfacher Ausfertigung beim Bundesparteigericht einzureichen. Sie muß die angefochtene Entscheidung bezeichnen sowie einen bestimmten Antrag und alle zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel enthalten.

gez. Nowak         gez. Friedrich         gez. Knopp

Ausgefertigt

(Unterschrift)

Ingo Schon
(Geschäftsführer des Landesparteigerichts)

Wiesbaden, den 16. Juli 2004


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